Die
Pilotin auf dem Weg nach Tokyo
Was ist ein Portrait?
Profilansicht (en profile): das Gesicht wird von der Seite abgebildet.
Diese Art der Malerei des Schattenrisses wurde oft im 15. Jahrhundert
angewandt, da es der zeitgenössischen Forderung nach Überprüfbarkeit
und Genauigkeit entsprach. [wikipedia]
1- Im September 1931 fotografierte Lotte Jacobi die junge Pilotin
Marga von Etzdorf für das Titelbild der Münchner Illustrierten
Presse. Im August hatte die Fünfundzwanzigjährige im kleinen
Sportflugzeug den Rekordflug von Berlin nach Tokyo in 11 Tagen geschafft.
Auf dem Photo sieht man, vom Licht deutlich modelliert, die linke
Profilansicht einer jungen Frau mit schwarzer Kappe.
Auffällig ist das Fehlen jeder heroischen Geste, kein Attribut
wie Fliegerbrille oder Lederjacke weist auf die Fliegerin hin. Der
Mund ist entspannt geschlossen, das Auge blickt unbeteiligt, mit
einem Ausdruck von Melancholie und Unergründlichkeit.
Lotte Jacobi hat den Betrachtern die Pilotin entzogen, alles Spektakuläre
abdestilliert und bietet uns das abgewandte Gesicht als irritierendes
Motiv für unsere Projektion. Interpretationsmöglichkeit
statt Darstellung – sieht man so aus, wenn man allein über
die russische Steppe geflogen ist?
2- Ein Photo gilt landläufig als der zutreffende Beweis - so
einen Kopf hat man, so zeigt einen der Reisepass. Die Portraitzeichnung
war nach der Erfindung der Photographie frei – sie konnte
sich auf die Deutung eines Gesichts konzentrieren – den besonderen
Ausdruck verstärken, Merkmale hervorheben, psychische Momente
betonen.
Das Portrait der Pilotin habe ich viele Male gezeichnet.
Dabei merkte ich, dass die Pilotin selbst sich schon beim Ablichten
in Lotte Jacobis Studio einer Einschätzung und Stilisierung
entzogen hat.
Mit ihr ist auch beim Zeichnen kein eindeutiger Ausdruck aufrechtzuerhalten.
Sie oszilliert in jedem Moment und gibt ihr Geheimnis nicht preis.
3- In der Animation werden allmählich alle gezeichneten Portraits
übereinandergelagert und bilden Schichten, die nach der letzten
Zeichnung wieder abgetragen werden. Das Computerprogramm versetzt
die Handzeichnung in einen anderen medialen Zusammenhang, der Film
löst sich von der Zeichenvorlage ab. Die Pilotin in ihrer Uneindeutigkeit
weist auf die Vieldeutigkeit hin, in der sich alles bewegt, was
in der Welt beobachtbar ist.
CV
1960 geboren in München, aufgewachsen in Heidelberg. 1980 Beginn des Studiums an der Universität der Künste, Berlin 1985/86 Studium an der Slade School of Arts, London 1986 Meisterschülerin an der UdK Berlin bei Professor Shinkichi Tajiri. 1992 - 1999 lebt in New York und Berlin. 1999 Ausbildung zur Programmiererin, digitale Bildbearbeitung am Institut für Neue Medien L4 in Berlin.
Stipendien und Auszeichnungen
1988 Arbeitsstipendium / Senatsverwaltung für Kulturelle Angelegenheiten Berlin. 1990/91 Atelieraufenthalt / Künstlerhaus Bethanien, Berlin. 1992/93 P.S.1 Contemporary Art Center - Stipendium für New York / Senatsverwaltung für Kulturelle Angelegenheiten Berlin. 1995 Arbeitsstipendium / Senatsverwaltung für Kulturelle Angelegenheiten Berlin. 2005 Buchprojekt Hundert Zeichnungen - Weidle Verlag, Bonn / Stiftung Kunstfonds.
Ausstellungen (Auswahl)
2005 wysiwyg : a Pop Song Studio A, Museum gegenstandsfreier Kunst, Otterndorf (e). 2003 unwägbar Galerie Seitz & Partner, Berlin (e). 2002 FilmKunst - Tage Ulm Medienoperative, Ulm NonStop Video Window International S.A.A.S., Shoot, Kopenhagen / Dänemark (g). 1999 verschwunden Verborgene Orte: Brückenköpfe Erpel - Remagen Elisabeth Montag Stiftung, Bonn (g.) 1997 Current Undercurrent: Working in Brooklyn Brooklyn Museum of Art, New York / USA (g). 1996 Missing Links Klaus Fischer Galerie, Berlin (g). 1995 B as C Max-Pechstein-Preis, Städtisches Museum Zwickau, Zwickau. 1994 Fragen KW Institute for Contemporary Art, Berlin (e). Cover Up Goethe house, New York (e). 1992 Science Times P.S.1 Contemporary Art Center, New York / USA (e). 1991 Entrata Lordine delle cose Palazzo Delle Esposizioni, Rom / Italien (g.) Der Rote Faden Künstlerhaus Bethanien, Berlin (e). Spy-Spy Interferenzen Kunst aus Westberlin. 1960-1990 Riga / Lettland, St. Petersburg / Russland (g). Entrance-Entrance A Double Mentality Japan, Hongkong, Singapur (g).
g – Gruppenausstellung / Group Show e – Einzelausstellung / Solo Show
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